Die Gesamtschule der Stadt Mülheim an der Ruhr als eine der ersten Gesamtschulen in NRW

Ab Schuljahr 1969/70 hatten die Gesamtschulen in Bochum, Dortmund, Oberhausen - Osterfeld, Gelsenkirchen, Fröndenberg, Münster, Kierspe und Kamen ihren Betrieb aufgenommen. Ab Schuljahr 1970/71 folgte Mülheim, allerdings mit den Jahrgängen 5 und 6 gleichzeitig. Damit wuchs auch die Mülheimer Gesamtschule zeitgleich mit den 1969 gegründeten Gesamtschulen in NRW.                                    

Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Gründung einer Gesamtschule?

Angesichts des sogenannten „Schülerbergs“ mussten im Mülheimer Norden dringend weiterführende Schulen errichtet werden. In der Ratssitzung vom 10.01.1968 wurde folgender Beschluss gefasst:

„Der Rat der Stadt beschließt …zum nächstmöglichen Termin in Mülheim an der Ruhr (Nord) eine integrierte und differenzierte Gesamtschule als Angebotsschule zu errichten. In dieser Gesamtschule werden die Städtische Realschule für Jungen und Mädchen Mülheim a. d. Ruhr (Nord) und das Städtische Neusprachliche Gymnasium für Jungen und Mädchen Mülheim a. d. Ruhr zusammen mit der Städtischen Gemeinschaftshauptschule an der Nordstraße integriert. Die Schule erhält den Schulnamen …´Gesamtschule der Stadt Mülheim an der Ruhr´ “.

Die Gesamtschule nahm also zu Beginn des Schuljahres 1970/71 mit 10 Klassen eines 5. Jahrgangs und den jeweils 4 Klassen der Hauptschule Nord, der Realschule Nord und des Gymnasiums Nord als 6. Jahrgang ihren Betrieb auf.  Erster Leiter der Gesamtschule war Günter Wischmann. Die Klassen des Gymnasiums Nord, der Realschule Nord und der Hauptschule Nord wurden in dieser Form noch ein Jahr weitergeführt. Die Lehrer waren allerdings schon Teil des Gesamtschulkollegiums.  Die Integration der Gymnasial–, Realschul– und Hauptschulklassen erfolgte (in einem aufwendigen pädagogischen Verfahren) zu Beginn des Schuljahres 1971/72. Nach entsprechenden Fortschritten des Schulbaus konnte 1973 der Ganztagsbetrieb mit einer provisorischen Mensa beginnen.

Es gehört zu den positiven Punkten dieser Gründungsgeschichte, dass nicht nur die Lehrer, sondern auch die Eltern von Beginn an eine hohe Mitwirkungsbereitschaft zeigten. Als beratende Mitglieder der Allgemeinen Lehrerkonferenz - eine Schulkonferenz gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht - trugen diese nicht nur alle Beschlüsse zur Erreichung der spezifischen Gesamtschulziele, z.B. der sozialen Lernziele mit. Sie legten auch frühzeitig großen Wert auf die fachlichen Leistungen, die ihre Kinder zur Erreichung der Abschlüsse benötigten. Dies kann im Nachhinein als besonderer Glücksfall gewertet werden.

Wichtige Mitarbeiter waren von Anfang an die auf regulären Lehrerstellen eingestellten Sozialarbeiter und Sozialpädagogen, die frühzeitig halfen, ein funktionierendes Ganztagskonzept zu erarbeiten. In diesem spielten auch die Eltern, die als pädagogische Helferinnen und Helfer regelmäßige Unterstützung leisteten, eine wichtige Rolle.

Von Anfang an waren auch Schulpsychologen als Schulberaterinnen und Schulberater mit von der Partie. Aufgrund der jedes Jahr durchgeführten Eingangstests konnten sie u.a. die Lehrer in den Klassenkonferenzen in Bezug auf Leistungsmöglichkeiten der einzelnen Schüler fundiert beraten.  Mit ihrer Hilfe wurden in den folgenden Jahren auch die Förder- und Übungsstunden inhaltlich gestaltet und auf ihre Effektivität hin kontinuierlich beobachtet, bewertet und, wenn nötig, verändert.

Ein wichtiger struktureller Baustein war die im 3. Jahr unter Mitwirkung der Schüler und Eltern von der allgemeinen Lehrerkonferenz verabschiedete Schulordnung. In ihr wurden die erwarteten Verhaltensweisen von Schülern auf der Basis gegenseitiger Rücksichtnahme (z.B. auch gegenüber den in der Schule tätigen Reinigungskräften, Handwerkern und Hausmeistern) ausführlich begründet.

Mit jedem neuen Jahrgang hatte die Mülheimer Gesamtschule eine Vielzahl von neuen Lehrern nötig. Dabei erwies es sich als glücklicher Umstand, dass man aus einer vergleichsweise großen Zahl von Bewerbern auswählen konnte. Auch die Nachfrage nach Gesamtschulplätzen für Schüler überstieg immer das zur Verfügung stehende Angebot bei weitem, eine Situation, die sich zum Glück bis heute gehalten hat.

Die ersten Abschlüsse an der Gesamtschule waren: 1974 der Hauptschulabschluss, 1975 die Fachoberschulreife und 1978 das erste Abitur.

Nach entsprechender Einigung in der Kultusministerkonferenz beendete das Land NW 1981 den Gesamtschulversuch. Wichtigster Punkt war die uneingeschränkte gegenseitige Anerkennung der Gesamtschulabschlüsse in allen Bundesländern. In Nordrhein-Westfalen wurde die Gesamtschule gesetzlich als Regelschule in der Sekundarstufe I neben Hauptschule, Realschule und Gymnasium verankert. Die Sekundarstufe 2 der Gesamtschulen wurde weiterhin als gymnasiale Oberstufe geführt.

1982 nahm eine zweite Gesamtschule im Mülheimer Stadtteil Saarn ihren Betrieb auf. Auf Initiative von Lehrern, Eltern und Schülern der ersten Gesamtschule beschloss der Stadtrat für sie den neuen Namen: „Gustav – Heinemann - Schule“.

Im Laufe der Schuljahre, insbesondere nach Beendigung des Schulversuchs Gesamtschule, konnten sukzessive wichtige Projekte das Schulprogramm erweitern: Lernen für Europa, Lernumfeld-Gestaltung, Lernen-lernen, Schulsanitätsdienst, Deeskalationstraining, Courage-AG, Starke Jungen-starke Mädchen, Schule ohne Rassismus. Über diese Projekte hinaus, die im Laufe der folgenden Jahre kontinuierlich weiter geführt werden konnten, hat die Schule ihr Schulprogramm um neue und wichtige Schwerpunkte weiterentwickelt.

 

Peter Virnich (ehemaliger Schulleiter der GHS)

Auszüge aus einem in Februar 2020 entstandenen Artikel anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Gustav-Heinemann-Schule.